2013 / 2014 Engelstaten
2 verfasser
:: Moni :: Moni's Geschichten
Seite 1 von 1
2013 / 2014 Engelstaten
Die Story war ursprünglich für einen Wettbewerb gedacht, den ich verschlafen habe.
Das Ende ist ein bisschen zusammengequetscht, hatte nur drei Seiten zur Verfügung.
Werde ich bei Gelegenheit noch umschreiben.
Zögerlich öffnete Annabelle ihre blutverkrusteten Augen und stellte mit Wehmut fest, dass es doch kein Traum war. Sie wohnte immer noch in einer herunter gekommenen Bruchbude, zusammen mit ihrer alkoholsüchtigen Mutter. Und auch der Angriff der Nachbarjungs gestern Abend hatte wirklich statt gefunden, sie konnte es an ihren schmerzenden Gliedern fühlen. Heute war ein Tag wie jeder andere, Annabelle würde am liebsten nie mehr aufstehen, einfach liegen bleiben und hoffen, dass sie ihrem erbärmlichen Leben so zu entfliehen vermochte. Aber sie wusste auch, dass sie das nicht konnte, dass sie für ihre kranke Mutter da sein musste, vor allem seit ihr Vater an einer Alkoholvergiftung verstorben ist. Auch wenn dieses tragische Ereignis nun schon fünf Jahre her war, für Annabelle fühlte es sich immer noch an, als wäre es erst gestern gewesen.
Unter Schmerzen setzte sie sich in ihrem Bett auf. Ihr kahles Zimmer schien sich im Kreis zu drehen, passend zu ihren kreisenden Gedanken um ihre Zukunft und die ihrer Mutter. Es war Samstag, das Wochenende hatte angefangen. Aber für Annabelle war das Wochenende nicht anders als jeder andere Tag. Alle Mädchen in ihrem Alter gingen ins Kino, Eis essen oder schwimmen. Aber Annabelle blieb zuhause und kümmerte sich um ihre Mutter, Tag für Tag. Manchmal blieb sie sogar nächtelang wach und wartete, bis ihre Mutter nach etlichen Weinflaschen endlich eingeschlafen war. In der Schule hatte sie weder gute Noten, noch einen guten Ruf. Sie hatte keine Freunde, nickte im Unterricht oft ein und kassierte jeden Tag sorgenvolle Blicke von ihren Lehrern. Aber sie wollte nicht mit ihnen über zuhause reden, sie konnte es einfach nicht. Bisher hatte sie es immer geschafft, die bohrenden Fragen abzuwenden, aber sie war sich sicher, dass sie das nicht ewig aushalten konnte. Schon seit vielen Monaten quälte sie die Frage, welches Ende das alles nehmen sollte. Aber sie schaffte es einfach nicht, eine vernünftige Lösung zu finden, ohne ihrer Mutter oder sich selbst mit ihren Entscheidungen weh zu tun. Wohl deswegen fand sie sich einfach mit der Situation ab und redete sich ein, dass Gott etwas besonderes mit ihr vorhatte und erst einmal testen wollte, ob sie das auch aushalten würde.
Annabelle setzte vorsichtig ihre nackten Füße auf den kalten Laminatboden ihres spärlich eingerichteten Zimmers, dass eigentlich viel zu klein für sie war. Draußen rieselte der feine Schnee, die Heizung blieb aber fast den ganzen Winter aus.
Die Kälte kroch an ihren Zehen hoch, weiter über ihre kompletten Füße und schließlich bis hoch in die Beine.
Sie fröstelte, auch wenn sie dieses Gefühl eigentlich schon lange kannte.
Bevor sie nach draußen in die ebenso kalte Küche ging, schlurfte sie mit brennenden Fußsohlen zu ihrem Kleiderschrank, um sich anzuziehen.
Dieser bot wie immer keinen beeindruckenden Anblick, eigentlich sogar einen ziemlich spartanischen. Annabelle war dieses Bild schon gewohnt, es fiel ihr gar nicht mehr auf.
Sie machte sich nicht die Mühe, nach etwas bestimmtem zu suchen, sondern griff einfach nach dem, was ihr in die Finger kam.
Nachdem sie sich angezogen hatte, stieg sie die knarrenden Dielen hinunter. Unten im Flur klingelte das Telefon. Annabelle hatte keine Ahnung, wie lange es schon läutete, aber sie wusste, dass ihre Mutter nicht aufstehen und abnehmen würde.
Also lief sie hin und nahm ab.
„Köhler.“, grüßte sie mit wackliger Stimme.
Am anderen Ende konnte sie eine Frau reden hören, jung, wahrscheinlich nicht mal zwanzig Jahre alt. Sie sagte irgend etwas von einem prall gefüllten Konto und einem Traumurlaub auf Hawaii.
Den Rest konnte sie nicht mehr verstehen, in ihren Augen standen Tränen und in ihrem Kopf flimmerte alles.
Wieder zu sich gekommen, bemerkte sie dass die Frau das Gespräch längst beendet hatte und hängte auf.
Bestimmt wieder diese Typen, die einem ach so tolle Gewinnspiele andrehen wollen, bei denen man auch ganz sicher etwas gewinnt. Und nachher sitzt man auf kalten Kohlen.
Frustriert lehnte sie sich gegen die Wand und atmete ein paar Mal tief durch.
Es wäre alles so viel einfacher, wenn ihre Mutter gesund wäre und arbeiten gehen könnte, aber das Leben war nun mal kein Wunschkonzert.
Zögernd überschritt Annabelle die Schwelle zum Wohnzimmer, die für sie mittlerweile, oder immer noch, sie wusste es nicht, zehn Meter hoch zu sein schien. Es war, als hätte sie Höhenangst und müsste sich dazu überwinden, über die Mauer zu klettern.
Drinnen bot sich ihr der gewohnte Anblick. Ihre Mutter lag, in dicke Wolldecken eingehüllt, auf dem Sofa und starrte in ihr halb leeres Glas. In der Luft schwebte der beißende Geruch von Cognac, der sich in das alte Stoffsofa verzog und dort einnistete.
Auch das müsste Annabelle mittlerweile gewohnt sein, dennoch löste dieser Geruch immer wieder ein nerviges Übelkeitsgefühl in ihr aus.
Sie starrte sie an und konnte die kleinen Tränen fühlen, die von ihren Wangen kullerten.
Annabelle's Mutter hob nicht ihren Blick, dazu konnte sie sich seit einigen Tagen nicht mehr aufraffen. Annabelle tat das weh, sicher, aber sie konnte es auch verstehen. Sie lebte unter dem Vorsatz, ihre Mutter könne nichts dafür, dass es ihr so schlecht geht.
Den Grund kannte sie nicht, ihre Mutter hatte nie über ihre Vergangenheit geredet. Annabelle kannte nicht einmal ihre Großeltern.
Anfangs hatte sie sich noch eingeredet, dass es keine Rolle spielen würde, ob ihre Mutter Schuld trägt oder nicht, immerhin war sie die Erwachsene, also auch diejenige, die für ihr Kind stark sein musste. Aber ihr ging es von Tag zu Tag schlechter und nun schaffte sie es einfach nicht mehr.
Stattdessen übernahm Annabelle nun ihre Rolle und war für sie da, auch wenn es anstrengend war und sie alles innerlich zu zerreißen schien.
„Guten Morgen, Mama.“ Ihre Stimme bebte, als sie diese Worte aussprach.
Sie blickte ihre Mutter kurz an, gab es aber schnell wieder auf, eine Antwort abzuwarten.
Sie würde keine bekommen, so wie die letzten Tage auch.
Obwohl ihr Kopf gegen jegliche Nahrung rebellierte, schrie ihr Magen nach Essen. Im Kühlschrank würde sie nicht viel finden, wenn überhaupt noch etwas da sein würde.
Wie so oft unterdrückte sie die vehementen Seufzer in ihrem Bauch und trank stattdessen nur ein kühles Glas Leitungswasser.
Dann schnappte sie sich das Putzzeug und begann, die Küche zu schrubben. Danach den Flur, das Badezimmer und schließlich das Wohnzimmer. Diesem ist sie extra bis zum Schluss aus dem Weg gegangen, die Vorstellung, ihre Mutter dort so deprimiert und lustlos vorzufinden, erschreckte sie auch nach diesen vielen Monaten noch.
Schnell waren der kleine Fernseher und die wenigen Möbel abgewaschen und der Boden geschrubbt. Ihre Mutter würdigte sie keines Blickes, sagte kein einziges Wort. Sie kippte nur ein Glas nach dem anderen und zog immer wieder eine neue Flasche hinter dem Sofa hervor, wenn eine leer geworden war.
Sie sah aus, als hätte sie die Nacht nicht geschlafen, aber Annabelle konnte sich auch täuschen.
Es macht doch gar keinen Unterschied, sie sieht so und so schrecklich aus.
Nicht mehr fähig, diesen grauenhaften Anblick noch länger zu ertragen, zog sie sich abgewetzte Converse und eine dünne Fließjacke über. Ihre Mutter würde sie nicht brauchen, so lange sie ihren Alkohol hatte, ging es ihr gut. Gut genug, um am Leben zu bleiben.
Draußen schneite es immer noch, Annabelle steuere zielstrebig auf den Spielplatz vor dem Betonblock zu.
Die kaputten und mit Graffiti beschmierten Spielgeräte luden nicht gerade zum bleiben ein, aber für Annabelle war dieser Ort ein Platz, an dem sie abschalten konnte. Oder zumindest war er das gewesen, bevor die vier Jungs aus der Nachbarwohnung sie gestern Abend zusammengeschlagen und ihr letztes Geld geklaut hatten. Nun blieb sie nicht wie sonst auf einer der maroden Holzbänke sitzen, sondern ging achtlos über den verdreckten Sand der Sandkiste hinweg.
Ein wenig abseits des Spielplatzes ließ sie sich gegen die Betonwand des Nachbarhauses sinken, rutschte an ihr hinab und saß schließlich im kalten Schnee.
Die Kälte ließ ihre Glieder vibrieren, aber Annabelle merkte es kaum.
Erst nach ein paar Minuten vernahm sie ein widerliches Brennen auf ihrer Haut, dass auf ihrem ganzen Körper wütete.
Als ob ich in Flammen stehen würde, dachte sie sich resigniert, sie zeigen mir wenigstens, dass ich nicht nur ein unsichtbarer Geist bin.
Seit ihre Mutter sie nicht mehr um Hilfe bat, fühlte sie sich genau so. Wie ein unsichtbarer Geist, Luft, einfach Nichts.
Während sie weiter da saß, beobachtete sie zwei junge Männer, die gerade aus dem Häuserblock kamen, in dem sie wohnte.
Wahrscheinlich hat der Alte über uns seiner Frau mal wieder eine gewischt.
Früher hätte sie Mitleid mit ihr gehabt, aber heute interessierte es sie nicht mehr.
Annabelle beobachtete die beiden Männer weiter, wie sie die Tür zu schlugen und durch den tiefen Schnee stiefelten.
Überrascht bemerkte sie, dass die beiden auf sie zu zu kommen schienen.
Was wollen die denn?
Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, um besser erkennen zu können, wer sich ihr da näherte.
Einer der beiden Männer, eindeutig der jüngere, lächelte breit. Es war ein Grinsen, dass sein Gesicht eigentlich hätte auseinander reißen müssen. Der andere hatte seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen gepresst, schaute sie aber nicht weniger freundlich an.
Die zwei blieben vor ihr stehen und senkten ihren Blick auf sie herab.
„Ich bin Marco.“, sprach der eine durch sein monstermäßiges Grinsen. Die Worte klangen komisch, Annabelle musste fast grinsen.
„Ich bin Benedikt.“, stellte sich der andere nach einer kurzen Pause ebenfalls vor. Seine Stimme klang kehlig und für ihre Ohren fast schon zu merkwürdig.
„Ich – äh – Ich heiße Annabelle.“, stotterte sie mühsam.
Die beiden Männer blickten sich an und nickten.
„Erzähl uns deine Geschichte.“, baten sie schließlich beide.
Annabelle blickte die beiden misstrauisch an, aber Marco und Benedikt nickten nur aufmunternd.
Also begann sie zu erzählen. Sie erzählte von ihrem toten Vater, der Alkoholsucht ihrer Mutter und von ihren Gefühlen, die sie zu ersticken schienen.
Als sie geendet hatte, blickten die beiden Männer sich erneut an, um kurz darauf wieder zu nicken.
„Annabelle.“ Der ältere der Männer beugte sich zu ihr herunter. „Mein Bruder Marco und ich, wir besitzen eine Menge Firmen hier in Berlin und im Umkreis. Wir haben beschlossen, etwas für andere Menschen zu tun, etwas gutes. Und wir sind uns einig, dass du diejenige bist, der wir helfen möchten. Dir und deiner Mutter, damit ihr wieder ein anständiges Leben führen könnt.“
Annabelle schluckte, brennend heiße Tränen bauten sich in ihren Augen zu kleinen Wellen auf.
Das konnte doch nicht deren Ernst sein?
Zwei Wochen später, Annabelle erwachte aus ihrem ersten erholsamen Schlaf seit Monaten.
Die Wärme der Heizung kitzelte ihre Haut, dieses Gefühl überwältigte sie. Wie lange musste sie darauf verzichten!
Frohen Gemüts schlug sie die Decke weg und stand auf.
Ihr erster Blick fiel auf ein großes Bild, dass sie eingerahmt hatte. Ein Bild ihrer Mutter. Diese machte mittlerweile einen Entzug, in einer geschlossenen Psychiatrie.
Annabelle lebte vorübergehend in einem Heim am Stadtrand von Berlin – Friederichsheim. Wenn es ihre Mutter wieder besser ging, dann würde sie in eine schöne kleine Wohnung ziehen. Und alles würde wieder gut werden.
Annabelle freute sich wie wild auf ein ordentliches Frühstück. Ein leckeres Croissant, ein Glas Orangensaft und fruchtige Erdbeermarmelade.
Marco und Benedikt hatten ihr Versprechen gehalten, die drei waren seitdem gute Freunde.
Das Ende ist ein bisschen zusammengequetscht, hatte nur drei Seiten zur Verfügung.
Werde ich bei Gelegenheit noch umschreiben.
Zögerlich öffnete Annabelle ihre blutverkrusteten Augen und stellte mit Wehmut fest, dass es doch kein Traum war. Sie wohnte immer noch in einer herunter gekommenen Bruchbude, zusammen mit ihrer alkoholsüchtigen Mutter. Und auch der Angriff der Nachbarjungs gestern Abend hatte wirklich statt gefunden, sie konnte es an ihren schmerzenden Gliedern fühlen. Heute war ein Tag wie jeder andere, Annabelle würde am liebsten nie mehr aufstehen, einfach liegen bleiben und hoffen, dass sie ihrem erbärmlichen Leben so zu entfliehen vermochte. Aber sie wusste auch, dass sie das nicht konnte, dass sie für ihre kranke Mutter da sein musste, vor allem seit ihr Vater an einer Alkoholvergiftung verstorben ist. Auch wenn dieses tragische Ereignis nun schon fünf Jahre her war, für Annabelle fühlte es sich immer noch an, als wäre es erst gestern gewesen.
Unter Schmerzen setzte sie sich in ihrem Bett auf. Ihr kahles Zimmer schien sich im Kreis zu drehen, passend zu ihren kreisenden Gedanken um ihre Zukunft und die ihrer Mutter. Es war Samstag, das Wochenende hatte angefangen. Aber für Annabelle war das Wochenende nicht anders als jeder andere Tag. Alle Mädchen in ihrem Alter gingen ins Kino, Eis essen oder schwimmen. Aber Annabelle blieb zuhause und kümmerte sich um ihre Mutter, Tag für Tag. Manchmal blieb sie sogar nächtelang wach und wartete, bis ihre Mutter nach etlichen Weinflaschen endlich eingeschlafen war. In der Schule hatte sie weder gute Noten, noch einen guten Ruf. Sie hatte keine Freunde, nickte im Unterricht oft ein und kassierte jeden Tag sorgenvolle Blicke von ihren Lehrern. Aber sie wollte nicht mit ihnen über zuhause reden, sie konnte es einfach nicht. Bisher hatte sie es immer geschafft, die bohrenden Fragen abzuwenden, aber sie war sich sicher, dass sie das nicht ewig aushalten konnte. Schon seit vielen Monaten quälte sie die Frage, welches Ende das alles nehmen sollte. Aber sie schaffte es einfach nicht, eine vernünftige Lösung zu finden, ohne ihrer Mutter oder sich selbst mit ihren Entscheidungen weh zu tun. Wohl deswegen fand sie sich einfach mit der Situation ab und redete sich ein, dass Gott etwas besonderes mit ihr vorhatte und erst einmal testen wollte, ob sie das auch aushalten würde.
Annabelle setzte vorsichtig ihre nackten Füße auf den kalten Laminatboden ihres spärlich eingerichteten Zimmers, dass eigentlich viel zu klein für sie war. Draußen rieselte der feine Schnee, die Heizung blieb aber fast den ganzen Winter aus.
Die Kälte kroch an ihren Zehen hoch, weiter über ihre kompletten Füße und schließlich bis hoch in die Beine.
Sie fröstelte, auch wenn sie dieses Gefühl eigentlich schon lange kannte.
Bevor sie nach draußen in die ebenso kalte Küche ging, schlurfte sie mit brennenden Fußsohlen zu ihrem Kleiderschrank, um sich anzuziehen.
Dieser bot wie immer keinen beeindruckenden Anblick, eigentlich sogar einen ziemlich spartanischen. Annabelle war dieses Bild schon gewohnt, es fiel ihr gar nicht mehr auf.
Sie machte sich nicht die Mühe, nach etwas bestimmtem zu suchen, sondern griff einfach nach dem, was ihr in die Finger kam.
Nachdem sie sich angezogen hatte, stieg sie die knarrenden Dielen hinunter. Unten im Flur klingelte das Telefon. Annabelle hatte keine Ahnung, wie lange es schon läutete, aber sie wusste, dass ihre Mutter nicht aufstehen und abnehmen würde.
Also lief sie hin und nahm ab.
„Köhler.“, grüßte sie mit wackliger Stimme.
Am anderen Ende konnte sie eine Frau reden hören, jung, wahrscheinlich nicht mal zwanzig Jahre alt. Sie sagte irgend etwas von einem prall gefüllten Konto und einem Traumurlaub auf Hawaii.
Den Rest konnte sie nicht mehr verstehen, in ihren Augen standen Tränen und in ihrem Kopf flimmerte alles.
Wieder zu sich gekommen, bemerkte sie dass die Frau das Gespräch längst beendet hatte und hängte auf.
Bestimmt wieder diese Typen, die einem ach so tolle Gewinnspiele andrehen wollen, bei denen man auch ganz sicher etwas gewinnt. Und nachher sitzt man auf kalten Kohlen.
Frustriert lehnte sie sich gegen die Wand und atmete ein paar Mal tief durch.
Es wäre alles so viel einfacher, wenn ihre Mutter gesund wäre und arbeiten gehen könnte, aber das Leben war nun mal kein Wunschkonzert.
Zögernd überschritt Annabelle die Schwelle zum Wohnzimmer, die für sie mittlerweile, oder immer noch, sie wusste es nicht, zehn Meter hoch zu sein schien. Es war, als hätte sie Höhenangst und müsste sich dazu überwinden, über die Mauer zu klettern.
Drinnen bot sich ihr der gewohnte Anblick. Ihre Mutter lag, in dicke Wolldecken eingehüllt, auf dem Sofa und starrte in ihr halb leeres Glas. In der Luft schwebte der beißende Geruch von Cognac, der sich in das alte Stoffsofa verzog und dort einnistete.
Auch das müsste Annabelle mittlerweile gewohnt sein, dennoch löste dieser Geruch immer wieder ein nerviges Übelkeitsgefühl in ihr aus.
Sie starrte sie an und konnte die kleinen Tränen fühlen, die von ihren Wangen kullerten.
Annabelle's Mutter hob nicht ihren Blick, dazu konnte sie sich seit einigen Tagen nicht mehr aufraffen. Annabelle tat das weh, sicher, aber sie konnte es auch verstehen. Sie lebte unter dem Vorsatz, ihre Mutter könne nichts dafür, dass es ihr so schlecht geht.
Den Grund kannte sie nicht, ihre Mutter hatte nie über ihre Vergangenheit geredet. Annabelle kannte nicht einmal ihre Großeltern.
Anfangs hatte sie sich noch eingeredet, dass es keine Rolle spielen würde, ob ihre Mutter Schuld trägt oder nicht, immerhin war sie die Erwachsene, also auch diejenige, die für ihr Kind stark sein musste. Aber ihr ging es von Tag zu Tag schlechter und nun schaffte sie es einfach nicht mehr.
Stattdessen übernahm Annabelle nun ihre Rolle und war für sie da, auch wenn es anstrengend war und sie alles innerlich zu zerreißen schien.
„Guten Morgen, Mama.“ Ihre Stimme bebte, als sie diese Worte aussprach.
Sie blickte ihre Mutter kurz an, gab es aber schnell wieder auf, eine Antwort abzuwarten.
Sie würde keine bekommen, so wie die letzten Tage auch.
Obwohl ihr Kopf gegen jegliche Nahrung rebellierte, schrie ihr Magen nach Essen. Im Kühlschrank würde sie nicht viel finden, wenn überhaupt noch etwas da sein würde.
Wie so oft unterdrückte sie die vehementen Seufzer in ihrem Bauch und trank stattdessen nur ein kühles Glas Leitungswasser.
Dann schnappte sie sich das Putzzeug und begann, die Küche zu schrubben. Danach den Flur, das Badezimmer und schließlich das Wohnzimmer. Diesem ist sie extra bis zum Schluss aus dem Weg gegangen, die Vorstellung, ihre Mutter dort so deprimiert und lustlos vorzufinden, erschreckte sie auch nach diesen vielen Monaten noch.
Schnell waren der kleine Fernseher und die wenigen Möbel abgewaschen und der Boden geschrubbt. Ihre Mutter würdigte sie keines Blickes, sagte kein einziges Wort. Sie kippte nur ein Glas nach dem anderen und zog immer wieder eine neue Flasche hinter dem Sofa hervor, wenn eine leer geworden war.
Sie sah aus, als hätte sie die Nacht nicht geschlafen, aber Annabelle konnte sich auch täuschen.
Es macht doch gar keinen Unterschied, sie sieht so und so schrecklich aus.
Nicht mehr fähig, diesen grauenhaften Anblick noch länger zu ertragen, zog sie sich abgewetzte Converse und eine dünne Fließjacke über. Ihre Mutter würde sie nicht brauchen, so lange sie ihren Alkohol hatte, ging es ihr gut. Gut genug, um am Leben zu bleiben.
Draußen schneite es immer noch, Annabelle steuere zielstrebig auf den Spielplatz vor dem Betonblock zu.
Die kaputten und mit Graffiti beschmierten Spielgeräte luden nicht gerade zum bleiben ein, aber für Annabelle war dieser Ort ein Platz, an dem sie abschalten konnte. Oder zumindest war er das gewesen, bevor die vier Jungs aus der Nachbarwohnung sie gestern Abend zusammengeschlagen und ihr letztes Geld geklaut hatten. Nun blieb sie nicht wie sonst auf einer der maroden Holzbänke sitzen, sondern ging achtlos über den verdreckten Sand der Sandkiste hinweg.
Ein wenig abseits des Spielplatzes ließ sie sich gegen die Betonwand des Nachbarhauses sinken, rutschte an ihr hinab und saß schließlich im kalten Schnee.
Die Kälte ließ ihre Glieder vibrieren, aber Annabelle merkte es kaum.
Erst nach ein paar Minuten vernahm sie ein widerliches Brennen auf ihrer Haut, dass auf ihrem ganzen Körper wütete.
Als ob ich in Flammen stehen würde, dachte sie sich resigniert, sie zeigen mir wenigstens, dass ich nicht nur ein unsichtbarer Geist bin.
Seit ihre Mutter sie nicht mehr um Hilfe bat, fühlte sie sich genau so. Wie ein unsichtbarer Geist, Luft, einfach Nichts.
Während sie weiter da saß, beobachtete sie zwei junge Männer, die gerade aus dem Häuserblock kamen, in dem sie wohnte.
Wahrscheinlich hat der Alte über uns seiner Frau mal wieder eine gewischt.
Früher hätte sie Mitleid mit ihr gehabt, aber heute interessierte es sie nicht mehr.
Annabelle beobachtete die beiden Männer weiter, wie sie die Tür zu schlugen und durch den tiefen Schnee stiefelten.
Überrascht bemerkte sie, dass die beiden auf sie zu zu kommen schienen.
Was wollen die denn?
Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, um besser erkennen zu können, wer sich ihr da näherte.
Einer der beiden Männer, eindeutig der jüngere, lächelte breit. Es war ein Grinsen, dass sein Gesicht eigentlich hätte auseinander reißen müssen. Der andere hatte seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen gepresst, schaute sie aber nicht weniger freundlich an.
Die zwei blieben vor ihr stehen und senkten ihren Blick auf sie herab.
„Ich bin Marco.“, sprach der eine durch sein monstermäßiges Grinsen. Die Worte klangen komisch, Annabelle musste fast grinsen.
„Ich bin Benedikt.“, stellte sich der andere nach einer kurzen Pause ebenfalls vor. Seine Stimme klang kehlig und für ihre Ohren fast schon zu merkwürdig.
„Ich – äh – Ich heiße Annabelle.“, stotterte sie mühsam.
Die beiden Männer blickten sich an und nickten.
„Erzähl uns deine Geschichte.“, baten sie schließlich beide.
Annabelle blickte die beiden misstrauisch an, aber Marco und Benedikt nickten nur aufmunternd.
Also begann sie zu erzählen. Sie erzählte von ihrem toten Vater, der Alkoholsucht ihrer Mutter und von ihren Gefühlen, die sie zu ersticken schienen.
Als sie geendet hatte, blickten die beiden Männer sich erneut an, um kurz darauf wieder zu nicken.
„Annabelle.“ Der ältere der Männer beugte sich zu ihr herunter. „Mein Bruder Marco und ich, wir besitzen eine Menge Firmen hier in Berlin und im Umkreis. Wir haben beschlossen, etwas für andere Menschen zu tun, etwas gutes. Und wir sind uns einig, dass du diejenige bist, der wir helfen möchten. Dir und deiner Mutter, damit ihr wieder ein anständiges Leben führen könnt.“
Annabelle schluckte, brennend heiße Tränen bauten sich in ihren Augen zu kleinen Wellen auf.
Das konnte doch nicht deren Ernst sein?
Zwei Wochen später, Annabelle erwachte aus ihrem ersten erholsamen Schlaf seit Monaten.
Die Wärme der Heizung kitzelte ihre Haut, dieses Gefühl überwältigte sie. Wie lange musste sie darauf verzichten!
Frohen Gemüts schlug sie die Decke weg und stand auf.
Ihr erster Blick fiel auf ein großes Bild, dass sie eingerahmt hatte. Ein Bild ihrer Mutter. Diese machte mittlerweile einen Entzug, in einer geschlossenen Psychiatrie.
Annabelle lebte vorübergehend in einem Heim am Stadtrand von Berlin – Friederichsheim. Wenn es ihre Mutter wieder besser ging, dann würde sie in eine schöne kleine Wohnung ziehen. Und alles würde wieder gut werden.
Annabelle freute sich wie wild auf ein ordentliches Frühstück. Ein leckeres Croissant, ein Glas Orangensaft und fruchtige Erdbeermarmelade.
Marco und Benedikt hatten ihr Versprechen gehalten, die drei waren seitdem gute Freunde.
Moni- Technikerin
- Aufgabe : Kontrolle technischer Abläufe
Anmeldedatum : 20.06.13
Anzahl der Beiträge : 328
Schriftrollen : 41767
Bewertung : 4
Alter : 28
Ort : Rheinland-Pfalz
Re: 2013 / 2014 Engelstaten
Eine sehr rührende Geschichte, aber du weißt ja ich liebe deine Gechichten übrigens es heißt "Fleecejacke"
Re: 2013 / 2014 Engelstaten
Hehe, wusste nicht, dass man die wirklich alle lieben kann.
Hätte ja sein können, dass dir eine mal nicht gefällt. ^-^
Ich kommentier deine heute Mittag, muss los.
Danke für das Lob und die Verbesserung. ^-^
Hätte ja sein können, dass dir eine mal nicht gefällt. ^-^
Ich kommentier deine heute Mittag, muss los.
Danke für das Lob und die Verbesserung. ^-^
Moni- Technikerin
- Aufgabe : Kontrolle technischer Abläufe
Anmeldedatum : 20.06.13
Anzahl der Beiträge : 328
Schriftrollen : 41767
Bewertung : 4
Alter : 28
Ort : Rheinland-Pfalz
Re: 2013 / 2014 Engelstaten
Ist wohl normal ^-^
Moni- Technikerin
- Aufgabe : Kontrolle technischer Abläufe
Anmeldedatum : 20.06.13
Anzahl der Beiträge : 328
Schriftrollen : 41767
Bewertung : 4
Alter : 28
Ort : Rheinland-Pfalz
Ähnliche Themen
» 2013 Der Augenzähler
» 2013 FF - Curse of the shadow
» 2013 Doom and funeral- When a world is perishing
» 2013 Wenn die Freiheit dir verwehrt bleibt
» 2013 FF - Curse of the shadow
» 2013 Doom and funeral- When a world is perishing
» 2013 Wenn die Freiheit dir verwehrt bleibt
:: Moni :: Moni's Geschichten
Seite 1 von 1
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten